Die Intensität der Selbstgeißelung, der die BVB-Spieler sich am Dienstagabend nach der Niederlage in Kiel unterzogen haben, war für Anhänger von Borussia Dortmund beinahe so schockierend wie das Spiel zuvor, das mit 2:4 verloren ging. „Beschämend“ sei der BVB aufgetreten, sagte Nuri Sahin. Emre Can merkte an, dass so ein Auftritt auch „etwas mit Ehre zu tun“ habe, und Lars Ricken griff die Spieler frontal an: Es sei „etwas Besonderes, für Borussia Dortmund zu spielen“, sagte er, deshalb sei es „peinlich und beschämend, wie wir die schwarz-gelben Farben repräsentieren“. Selten haben ein Trainer, ein Kapitän und ein Sport-Geschäftsführer das eigene Team im Nachgang eines Spiels derart demontiert.
Das mag manchem Fan gefallen, weil die harten Worte irgendwie ehrlich klangen. Dabei kann so eine Niederlage jedem passieren, wenn ein Bundesligaspiel ungünstig verläuft. Wenn das eigene Kombinationsspiel auf einem Fußballplatz, der eher einem Acker gleicht, nicht umsetzbar ist, die halbe Mannschaft noch vor drei Tagen krank im Bett gelegen hat und dem Gegner fast alles gelingt. Aber es geht in Dortmund längst um mehr als ein einzelnes Spiel.
Es geht um die Angst vor einem Kipppunkt. In den ersten Wochen der Saison, als der BVB zwar auswärts meist verlor, in der Champions League aber gut spielte und vor heimischem Publikum auch in der Bundesliga erfolgreich war, ließ sich eine Entwicklung erkennen: Spielerisch war Borussia Dortmund deutlich besser als unter Sahins Vorgänger Edin Terzic. Es bestand die berechtigte Hoffnung, dass sich nach einer holprigen Anfangsphase ein Flow einstellt und ein Spitzenteam entsteht. Rein von der Veranlagung würde der Kader dies hergeben.
Das Kiel-Spiel ist nun eine Zäsur, nicht nur weil die wirtschaftlich dringend nötige Qualifikation für die Champions League immer unwahrscheinlicher wird. Vieles deutet auch darauf hin, dass das Projekt mit Sahin zu scheitern droht. Genau wie der Umbruch im Kader und vielleicht sogar der Generationswechsel in der Geschäftsführung, wo Ricken die Aufgaben des im kommenden Sommer scheidenden Hans-Joachim Watzke übernommen hat.
Die Neuausrichtung droht auf allen Ebenen zu scheitern, und das trägt nicht dazu bei, dass Spieler wie Maximilian Beier, Felix Nmecha, Yan Couto, Serhou Guirassy, Jamie Gittens oder Ramy Bensebaini es als Ehre empfinden dürften, für diesen vollkommen verkrampften Klub zu spielen. Sie würden auch andere Vereine finden, wenn Borussia Dortmund abstürzt.
Ein großer Verein muss mehr bieten als eine diffuse Bedeutung, die gebürtige Westfalen wie Ricken und Sahin vielleicht erkennen, aber im Alltag immer weniger sichtbar ist. Hilfreich wären ein Trainer, ein Kapitän und eine Klubführung, die eine klare Vorstellung von den Ursachen für die Krise haben und diese auch deutlich artikulieren können. Leute, die eine Autorität ausstrahlen, aus der Zuversicht entstehen kann.
Was diesem Klub gerade am meisten fehlt, sind Persönlichkeiten, die wissen, was in solch einem schwierigen Moment richtig ist. Und die irgendwann auch erkennen, wo die Wurzel des Übels sitzt, das seit Jahren die Entstehung einer konstant stabilen Mannschaft verhindert.